Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in der aktuellen Fassung, gültig seit 28.5.2022, spricht jetzt ausdrücklich auch dem Verbraucher einen Schadensersatzanspruch zu. Dieses Recht leitet sich aus Art. 11a der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (sog. UGP-RL) ab, der Verbrauchern, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Beendigung des Vertrages verschafft. Der Verbraucher verdankt die Bestimmung den Dieselskandal-Fällen, die zu dieser folgenschwersten Änderung der UGP-RL geführt haben. Die Umsetzung des Art. 11a UGP-RL erfolgte im Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht vom 10.8.2021. Die Bestimmung findet sich nun in § 9 II UWG. Sie lautet:
(2) Wer vorsätzlich oder fahrlässig einen nach Paragraf drei unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die sie anderenfalls nicht getroffen hätten, ist Ihnen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet…
I. Wesen der Regelung
Interessant an dieser Regelung ist, dass sie, was bisher nach dem UWG nicht möglich war, nun dem Verbraucher einen Anspruch innerhalb des UWG zugesteht, und dass der Verbraucher diesen Anspruch auch selbst geltend machen kann. Er wird nicht gezwungen, den Weg über die in Art. 8 UWG ausdrücklich genannten klagebefugten rechtsfähigen Vereine und qualifizierten Einrichtungen zu gehen. Man kann sich aber sicherlich vorstellen, dass Verbraucher Schwierigkeiten bei dieser individuellen Rechtsdurchsetzung haben werden. Analog den Erfahrungen aus dem allseits bekannten „Dieselskandal“ kann der Verbraucher für die Durchsetzung seiner Rechte die Musterfeststellungsklage und gegebenenfalls die Möglichkeit der Sammelklage. Das bietet sich an, werden doch in den allermeisten Fällen die reklamierten unlauteren Geschäftspraktiken ihn wohl kaum alleine betroffen haben.
Wichtig ist die Feststellung, dass dieser Schadensersatzanspruch ein individueller Anspruch ist und gegebenenfalls auch individuell geltend gemacht werden kann. Zuständig sind die Gerichte nach den allgemeinen Vorschriften, also auch entgegen der sonst ausschließlichen Zuständigkeit der Landgerichte (§ 14 I UWG) je nach Streitwert auch die Amtsgerichte (§ 14 IV UWG).
Zudem ist der in § 9 II UWG genannte Schadensersatzanspruch ein Anspruch, den ausschließlich der Verbraucher geltend machen kann. Dies schließt zugleich aus, dass dieser spezielle Anspruch Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern zusteht.
Nicht erfasst werden von diesem Schadensersatzanspruch bestimmte geschäftliche Handlungen. Dazu gehören der Rechtsbruch (§ 3a UWG), die Herabsetzung oder Diskriminierung, die geschäftliche Schädigung, die Nachahmung und die Behinderung (§ 4 UWG), Fälle der vergleichenden Werbung (§ 6 UWG) sowie die Nummer 32 des Anhangs, also die Aufforderung zur Zahlung bei unerwarteten Besuchern in der Wohnung aufgrund eines abgeschlossenen Vertrages vor Ablauf des Tages des Vertragsabschlusses.
Anwendbar bleiben damit die Nummern. 1-31 des Anhangs sowie sorgfaltswidriges, insbesondere irreführendes und aggressives Verhalten, das den Verbraucher wesentlich beeinflusst (§ 3 II UWG) oder den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er anderenfalls nicht getroffen hätte (§ 4a UWG), die Irreführung (§ 5 UWG) und die Irreführung durch Unterlassen (§ 5a UWG).
II. Verhältnis zum bürgerlichen Recht
Der Schadensersatzanspruch des§ 9 II UWG lässt die Schadensersatzansprüche des BGB unberührt, die sich beispielsweise aus §§ 280 I , 241 II, 311 II BGB oder aus § 826 BGB (den wir aus den Dieselskandal Fällen kennen) ergeben können. Es besteht Anspruchskonkurrenz, d.h. die Anspruche können nebeneinander geltend gemacht werden. Anwendbar bleiben daneben alternativ auch das Recht zur Anfechtung des Vertrages, das Rücktrittsrecht, aber auch die Gewährleistungsrechte Verbrauchers.
- 9 II UWG ist ein deliktische Anspruch, für den grundsätzlich die Vorschriften des Deliktrechts (§§ 823, 830, 831, 840 und § 852 BGB) gelten. Soweit die Verjährung betroffen ist, gilt die Verjährungsfrist von einem Jahr (§ 11 UWG) und nicht die Dreijahresfrist der unerlaubten Handlungen (§195 BGB).
Es ergibt sich eine besondere Situation, wenn dem Verbraucher zugleich Gewährleistungsansprüche, etwa aus §§ 437 BGB (Kauf) oder §§ 634 ff BGB (Werkvertrag) zustehen. Im Gewährleistungsrecht kann der Verbraucher grundsätzlich erst nach erfolgloser Fristsetzung zur Nacherfüllung vom Vertrag zurücktreten. Das verlangt § 9 II UWG nicht.
Für § 9 II UWG ist zu bedenken, dass dieser deliktsrechtlich zu qualifizierende Anspruch das Interesse an einer freien und informierten geschäftlichen Entscheidung des Verbraucher schützt. Dieser Anspruch steht dem § 826 BGB nahe (dazu: Helmut Köhler in GRUR 2022, 444). Die Vorschrift dehnt den Schutz des Verbrauchers auf fahrlässig begangene Wettbewerbsverstöße aus. Der Verbraucher kann zwischen den Gewährleistungsrechten und dem Anspruch nach§ 9 II UWG frei wählen, möglicherweise auch noch während eines bereits anhängigen Verfahrens.
Der Schadensersatzanspruch des § 9 II UWG beinhaltet keinen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch. Ein solcher Anspruch steht nur den in § 8 UWG genannten Anspruchsberechtigten zu, also vor allem Mitbewerbern. Unterlassungsansprüche des Verbrauchers bestehen aber aus den allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften des BGB (823 I, 823 II in Verbindung mit den von dem Normzweck erfassten Schutzvorschriften oder § 826 BGB). Diese Vorschriften setzen allerdings im Gegensatz zu§ 9 II UWG Vorsatz voraus.
III. Umfang des Schadensersatzes
Die Begründung des Regierungsentwurfs geht explizit davon aus, dass regelmäßig nur das negative Interesse zu ersetzen sei (RegE BT-DRS. 19/27873, 41). Dies würde bedeuten, dass etwa nur die Fahrtkosten zu ersetzen wären. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum für § 9 II UWG eine solche Beschränkung gelten soll, steht § 9 II UWG zum einen den deliktsrechtlichen Vorschriften nahe (§§ 823, 826 BGB), zum anderen sieht die Vorschrift diese Einschränkung nicht explizit vor. Wird deutlich, dass gerade die in den Dieselskandal – Fällen vom BGH festgestellte vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) adäquat den unzulässigen Handlungen des § 3 UWG nebst Anhang entspricht, ist nicht ersichtlich, warum mit § 9 II UWG der Verbraucher nicht so zu stellen sein soll wie gemäß den Vorschriften der §§ 249 BGB über den Schadensersatz, also umfassend.
Möglich sollten deshalb sein: Vertragsauflösung, Rückabwicklung des vollzogenen Vertrages oder Herabsetzung des Kaufpreises (dazu: Inge Scherer GRUR 2022, 789 mwN).
IV. Auswirkungen auf die Praxis
Die Vorschrift ist neu. Nicht alle Facetten des Schadensersatzanspruchs des § 9 II UWG sind bereits ausgeleuchtet. Die Literatur versucht Ansätze. Die Rechtsprechung wird ihren Teil dazu noch leisten. Die Musterfeststellungs- und Sammelklage haben das Potenzial zur Vertiefung solcher Materien und tragen, wie im Dieselskandal zu sehen, zu einer differenzierten Betrachtung bei.
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Schadensersatzanspruch des Verbrauchers im UWG herunterladen (PDF)